Ärgernis Bahn: Lösungsansätze aus der Forschung
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Ärgernis Bahn: Lösungsansätze aus der Forschung
In der neuesten Folge des Wissenschaftspodcasts “Forsch!” Wissenschaft im Gespräch ist Martin Scheidt, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Eisenbahnwesen und Verkehrssicherung zu Gast. Im Gespräch mit Moderator Dr. Jeremias Othman spricht er über das Staats- und Marktversagen rund um die Deutsche Bahn, erörtert, welche Lösungen die Forschung bereithält und gibt Anregungen, wie wir trotz Verspätungen und Zugausfällen unsere privaten Reisen entspannt angehen können.
Bahnchaos, Forschung und KI
“Dass die Deutsche Bahn schlecht ist, wissen wir alle; das ist kein Geheimnis. Aber was tun?” Zunächst einmal Abstand nehmen vom Bahn-Bashing und einen Blick auf mögliche Lösungen werfen! Auf die Frage nach seiner Einschätzung, zählt der Fachmann für Verkehrswesen zunächst die politischen, marktwirtschaftlichen und fachlichen Herausforderungen der Deutschen Bahn auf und ordnet diesen Forschungsfelder zu. Seine Forschung, so berichtet er, konzentriere sich grundsätzlich auf das Erarbeiten potenzieller Werkzeuge, die zunächst dazu dienen, verlässliche Daten zu erhalten. Wie pünktlich sind Reisende – nicht Züge? Welche Objekte, also Weichen, Schienen etc. – bedürfen in absehbarer Zeit einer Wartung? Welche Szenarien sind durch KI und breiter gefasst, die Digitalisierung, denkbar? ”Können wir mit digitaler Technik andere Konzepte umsetzen, sodass wir mehr Verkehr zulassen können?” Diese Fragen stehen im Fokus der Forschung und sollen es der Bahn ermöglichen, im internationalen Vergleich Schritt zu halten.
Zum sicheren Fahrplan durch Ausweichmöglichkeiten
Resilienz beschreibt die Fähigkeit, auf unvorhergesehene Ereignisse in einer Weise zu reagieren, die – im Falle der Bahn – ermöglicht, den Tagesbetrieb ohne große Einschränkungen zu gewährleisten. Aktuelle Beispiele, wie die Weddeler Schleife oder der Güterzugunfall bei Gifhorn, zeigen, wie anfällig das Streckennetz der Deutschen Bahn derzeit ist. ”Wir kennen noch nicht besonders viele gute Werkzeuge, um ein Bahnnetz so zu gestalten, dass wir ein resilientes Netz für verschiedene Arten von Störungen haben.” Dafür benötigen wir in allererster Linie Daten für die Forschung. Was funktioniere, so Scheidt, seien Alternativstrecken.
Mehr Fahrten und Streckennetzausbau: Es mangelt nicht nur am Geld
Neben datengetriebenen Ansätzen in der Forschung bedarf es daher einer grundlegenden Re-Finanzierung. Als offensichtlich unterfinanziert, bezeichnet Scheidt das Schienennetz. Den Grund sieht er im “politischen Stellenwert”. Vor dem Hintergrund des Klimawandels herrscht dafür bei Scheidt Unverständnis. “Unser Augenmerk liegt immer noch auf der Straße, sprich auf dem motorisierten Individualverkehr.” Pro Kopf fließen aus dem Steuerhaushalt 100 Euro in die Schienennetze der Bahn, im Vergleich zum Spitzenreiter Schweiz relativ wenig: Dort sind es 260 Euro pro Kopf. Hier zieht Scheidt eine nüchterne Bilanz: “Da sieht Deutschland nicht besonders gut aus.”
Neben fehlenden Daten und geringer Finanzierung spielen auch Fachkräfte eine Rolle für eine zukunftsfähige Infrastruktur. Gerade Studierende im Bereich Verkehr seien auf dem Arbeitsmarkt gefragt. “Alle unsere Absolvent[*innen] haben schon Arbeitsverträge, bevor sie ihre Masterarbeit gemacht haben.” Das bedeutet gleichzeitig, dass diese Kräfte in der Forschung fehlen. Dem gesamten Themenfeld der Verkehrswende und fehlender Personalressourcen blickt Scheidt daher düster entgegen.
Die grundlegenden fünf Bedürfnisse an die Mobilität
Im weiteren Verlauf des Podcasts sprechen Gast und Host über Mobilität und Klimawandel. “Mobilität ermöglicht es uns, unsere Bedürfnisse zu erfüllen und zu allen diesen Zugang zu haben. Diese sind klassisch gesehen der Weg zur Arbeit, Ausbildung, Freizeit, Einkauf und zu [Ärzt*innen].” Diese fünf Grundbedürfnisse, kritisiert Martin Scheidt, seien mit Blick auf das Klima nicht allein mittels Straßenbau zu sichern, und doch schafft der deutsche Staat hierfür regelmäßig Anreize. Genau dieses Vorgehen erhöhe jedoch laut Expert*innen die Erderwärmung. Eine Lösung wäre, den individuellen Verkehr zu reduzieren, die Mobilität dabei aber aufrechtzuerhalten. Verkehr ist dabei die Summe aller Transporte. Wir könnten z.B. weniger Autos auf den Straßen haben, mit der Bahn aber gleich viele Menschen an ihre Ziele bringen. Die Verantwortung, dem Klimawandel entgegen zu wirken, sieht Scheidt dabei “auf allen Ebenen”- von der Politik bis zu den einzelnen Bürger*innen.
Zugfahren als Mittel der Entschleunigung
Entspanntes Bahnfahren – ist das möglich? Die abschließende Frage beantwortet der Forscher so: Seine letzte Dienstreise führte ihn nach Barcelona und zurück, natürlich mit dem Zug. Genug Zeit und mit der Erwartungshaltung, die Reise an sich als Erlebnis zu betrachten, lässt einen viel entspannter an die Sache herangehen. “Die Zeit ist das, worüber sich die meisten Gedanken machen. Für viele gibt es nur eine Antwort: so kurz wie möglich.” Dabei sollten wir die Schnelligkeit, die das Fliegen mit sich bringen kann, viel mehr als Luxusgut ansehen und nicht als Selbstverständlichkeit.
Seine Empfehlung für die entspannte Nutzung im vorhandenen Fahrplan: Einmal mit dem Zug von Braunschweig nach Barcelona, dafür weit genug im Voraus buchen, um teure Kosten zu sparen und anschließend die Fahrt durch die Landschaft genießen.
Der Podcast “Forsch! – Wissenschaft im Gespräch” ist eine Kooperation der ForschungRegion Braunschweig mit der Braunschweiger Zeitung. Die Moderator*innen von ForschungRegion und Braunschweiger Zeitung sprechen mit Akteur*innen der Region über ihre Forschung, ihre Person – und über aktuelle gesellschaftliche, politische und ethische Fragen und Debatten. Jetzt direkt hier reinhören oder auf Spotify, Apple Podcasts oder Deezer streamen.